Hochrangige Fachleute standen am 16. Oktober im Gemeindeamt mit Rat und Tipps Rede und Antwort: Bezpolkdtin Obstl. Sonja Fiegl, Dr. Martina Wieshaider, Mag. Sophie Hansal und DSA Alexander Grohs.
Erschreckend oft erfahren wir – auch aus den Medien - von Frauen oder Mädchen, die bereits Gewalt erdulden mussten. Diese Gewalt hat viele Gesichter: verbal, psychisch oder physisch - zu Hause, bei der Arbeit, in der Freizeit oder in den sogenannten "sozialen" Medien. Es ist wichtig, die Anzeichen zu erkennen und rechtzeitig Beratung und Hilfe zu suchen. Wer, wo wie und wann bei Fragen oder Betroffenen zur Seite steht, erfuhren wir beim Info-Abend am Mittwoch, dem 16. Oktober, um 18 Uhr im Gemeinderats-Sitzungssaal.
Im Bild von Otto Sibera, NÖN, von links GGR Wolfgang Seidl, Moderatorin GGR Susanna Kittinger, Bürgermeister Maximilian Titz, Dr. Martina Wieshaider, Leiterin der Wir NÖ-innen StAW Gabriela Würth, Vizebürgermeisterin Ulrike Fischer, DSA Alexander Grohs, sitzend: Bezirkspolizeikommandantin Oberstleutnant Sonja Fiegl, MA MA Sophie Hansal.
Bei Fragen aller Art stehen die Mädchen- und Frauenberatungsstellen zur Verfügung: Probleme in der Schule, bei der Arbeit, bei Trennungen, Finanzfragen und vielem mehr. "Kein Thema ist zu klein, um nicht zu uns zu kommen", schilderte Mag. Sophie Hansal vom Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen. "Oft entwickeln sich dann auch Gespräche über ungute Situationen, das Gefühl von Bedrohung oder Unterdrückung. Meistens sind sich unsere Gesprächspartnerinnen noch nicht klar darüber, dass es dabei bereits um Gewalt geht, und was sie dagegen tun können", so Hansal. Die nächste Beratungsstelle für den Bezirk Tulln befindet sich in Klosterneuburg. Im Jahr suchen 120.000 Frauen in unserem Land Beratungsstellen auf. Leider verzeichnet Hansal 2024 bis jetzt bereits eine Zunahme um 40 Prozent.
In ihrer Ordination hatte es Gemeindeärztin Dr. Martina Wieshaider - zum Glück - noch nicht mit körperlicher Gewalt gegen Mädchen und Frauen zu tun. Allerdings leiden viele unter psychischen Übergriffen, unter Mobbing oder Bossing: "Sie kommen dann mit körperlichen Symptomen wie Verspannungen, Magen- Darmproblemen, die aber eindeutig psychischen Ursprungs sind. Viele ziehen sich zurück, schotten sich ab. Das ist ein Alarmzeichen", erzählte Wieshaider. Wichtig ist es am Selbstbewusstsein zu arbeiten, keine ist wehrlos. Eine große Hilfe dabei sind unsere Selbstverteidigungskurse, die aktuell am 21. Oktober und 4. November von 18 bis 20 Uhr im Kulturhaus von den Profis des Union Judoklubs Makoto geleitet werden.
Die Polizei wird meistens gerufen, wenn es bereits körperliche Übergriffe gibt. "Das macht Gewalt sichtbar und diese Sichtbarkeit ist wichtig, um die Gewaltspirale zu unterbrechen. Seit 2022 sprechen wir jedes Jahr rund 170 Betretungsverbote im Bezirk Tulln aus. Dabei gilt: Wer schlägt, der geht", berichtete Bezirkspolizeikommandantin Oberstleutnant Sonja Fiegl. Sie appelliert, nicht wegzuhören oder wegzusehen. Wenn wir Veränderungen im Freundeskreis oder bei Bekannten bermerken, rät Fiegl diese darauf anzusprechen, dass man eine Veränderung bemerkt hat und das Gefühl zu vermitteln, dass man da sind, Rückhalt gibt und ein Miteinander anzubieten.
"Gewalt ist männlich. Wir haben bei Neustart 90.000 Beratungen im Jahr, davon rund 2.500 in Niederösterreich. Von der Polizei weggewiesene Männer müssen sich binnen 5 Tagen bei Neustart für eine insgesamt 6-stündige Beratung melden, die wenigsten kommen freiwillig. Täterarbeit ist ein wichtiger Beitrag zum Opferschutz. Männer haben Probleme mit Emotionen, Schwäche einzugestehen und sehen Gewalt als Mittel zur Lösung - auch wenn sie das eigentlich nicht wollen", schilderte Alexander Grohs, der Leiter von Neustart Niederösterreich. Die Rückfallquote beträgt unter 10 Prozent. Zu je einem Drittel gehören die Täter den Altersgruppen 30 bis 40 Jahre sowie über 50 Jahre an. Der Anteil der Jugendlichen bis 18 Jahre beträgt 16 Prozent. In den Beratungen sind alle gesellschaftlichen Schichten und Bildungsgrade vertreten.
"Alle Fachleute waren sich einig: Österreich hat das beste Gewaltschutzgesetz und Betreuungsnetz in Europa, wenn nicht weltweit. Damit es besser wird, müssen wir alle umdenken und tradierte Rollenbilder ablegen. Stärken wir das Miteinander, beobachten wir, sehen und hören wir nicht weg. Es ist ein langer Weg, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen, die von den darin verstrickten oft gar nicht als Gewaltbeziehung gesehen wird", fasste geschäftsführende Gemeinderätin Susanna Kittinger zusammen, die durch den Abend geführt hat.
In den jüngsten Monaten ist viel passiert: 30 Organisationen wurden vernetzt und arbeiten in der „Nationalen Plattform gegen Gewalt an Frauen“ zusammen. Das Budget für Gewaltschutz wurde verdreifacht und Gewaltschutzzentren, Beratungsstellen gestärkt. Lang gefordert, nun erreicht: für den Bezirk Tulln werden erstmals zwei Übergangswohnungen eingerichtet.
„Viele von uns sind mit der Mär von der „gesunden Watschen“ aufgewachsen, oder, dass Buben und Männer nicht weinen. Das prägt das spätere Verhalten. Zum anderen haben die Einschränkungen wegen Corona, der finanziellen Lage oder die Anonymität im Internet dazu beigetragen, dass der Geduldsfaden früher reißt. Eine steigende Aggressivität erleben wir im Alltag, im Straßenverkehr oder im Netz.
Uns allen kommt dabei eine wichtige Rolle zu – auch wenn wir persönlich nicht betroffen sind. Ganz wichtig ist es zu wissen, welche Anlauf- und Beratungsstellen es in der näheren Umgebung gibt und wo man welche Hilfe bekommt. Darum ging es im 2. Teil unserer Infoveranstaltungen in der Gemeinde.
Frauen in gewaltgeprägten Beziehungen fällt es besonders schwer, sich von ihren Peinigern zu befreien. Nach unserem Info-Nachmittag im Juni 2023 wollten wir das so ernste Thema erneut ansprechen und es mit Hilfe der Expertinnen und Experten am Podium bekannter und bewusster machen. Niemand ist hilf- noch wehrlos!“, erklärt Gabriela Würth, Obfrau der Wir Niederösterreicherinnen St. Andrä-Wördern.